Die unsichtbare Gefahr in verarbeiteten Lebensmitteln
Erdnüsse gelten als praktischer Snack und proteinreiche Zutat in unzähligen Lebensmitteln. Doch für Menschen mit einer Erdnussallergie verwandelt sich dieser vermeintlich harmlose Inhaltsstoff in eine ernsthafte Gesundheitsgefahr. Das Immunsystem von Erdnussallergikern reagiert derart heftig, dass bereits beim kleinsten Kontakt schwere Reaktionen bis hin zum gefürchteten anaphylaktischen Schock drohen können. Im Gegensatz zu anderen Nahrungsmittelallergien wächst sich die Erdnussallergie selten aus und begleitet Betroffene meist ein Leben lang.
Wer an Erdnussallergien denkt, hat meist offensichtliche Produkte wie Nussmischungen oder Erdnussbutter vor Augen. Die Realität sieht anders aus: Erdnussproteine verstecken sich in einer erstaunlichen Bandbreite an Lebensmitteln, bei denen Verbraucher nicht automatisch mit dieser Zutat rechnen. Backwaren, Müsliriegel, Schokoladenprodukte, asiatische Saucen und sogar manche Gewürzmischungen können Erdnussspuren enthalten, ohne dass dies auf den ersten Blick ersichtlich ist.
Besonders tückisch sind sogenannte Kreuzkontaminationen während der Produktion. Wenn in einer Produktionsstätte verschiedene Lebensmittel hergestellt werden, können mikroskopisch kleine Partikel von einer Charge zur nächsten gelangen. Ein Müsliriegel ohne Erdnüsse in der Rezeptur kann dennoch Spuren enthalten, wenn auf derselben Anlage zuvor erdnusshaltige Produkte gefertigt wurden. Diese unsichtbare Gefahr macht den Einkauf für Allergiker zum täglichen Spießrutenlauf.
Was die Zutatenliste wirklich verrät
Die europäische Lebensmittelinformationsverordnung schreibt vor, dass die 14 Hauptallergene, zu denen Erdnüsse gehören, in der Zutatenliste hervorgehoben werden müssen. In der Praxis geschieht dies meist durch Fettdruck, Großbuchstaben oder eine andere Schriftart. Doch diese Regelung greift nur bei Zutaten, die absichtlich hinzugefügt wurden.
Deutlich schwammiger wird es bei den freiwilligen Spurenhinweisen wie „Kann Spuren von Erdnüssen enthalten“ oder „Hergestellt in einem Betrieb, der auch Erdnüsse verarbeitet“. Diese Warnungen sind nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern dienen Herstellern als rechtliche Absicherung. Das führt zu einer paradoxen Situation: Manche Unternehmen setzen diese Hinweise großzügig ein, selbst wenn das tatsächliche Kontaminationsrisiko minimal ist. Andere verzichten darauf, obwohl durchaus ein Risiko bestehen könnte.
Unterschiede in der Kennzeichnungspraxis
Die fehlende Standardisierung bei Spurenhinweisen schafft Unsicherheit. Allergiker können nicht verlässlich einschätzen, ob ein Produkt mit Spurenhinweis tatsächlich gefährlicher ist als eines ohne entsprechenden Vermerk. Die Menge an Erdnussprotein in Produkten mit Spurenhinweisen variiert stark, von nicht nachweisbaren Mengen bis zu Konzentrationen, die tatsächlich Reaktionen auslösen können. Verschiedene Formulierungen werden unterschiedlich interpretiert, was die Verwirrung zusätzlich erhöht.
Versteckte Erdnussbestandteile unter anderen Namen
Erdnüsse tauchen nicht immer unter ihrer gängigen Bezeichnung auf. In Zutatenlisten finden sich manchmal lateinische oder wissenschaftliche Begriffe, die nur informierte Verbraucher mit Erdnüssen in Verbindung bringen. Begriffe wie „Arachis hypogaea“, die botanische Bezeichnung, oder „Arachisöl“ verweisen auf Erdnussbestandteile, werden aber nicht von jedem Verbraucher sofort erkannt.
Auch raffiniertes Erdnussöl stellt ein Diskussionsthema dar. Durch den Raffinierungsprozess werden die meisten Proteine entfernt, die allergische Reaktionen auslösen. Dennoch können Restmengen verbleiben, und nicht jedes Erdnussöl durchläuft denselben Raffinierungsgrad. Die Kennzeichnung „pflanzliches Öl“ ohne weitere Spezifizierung ist mittlerweile nicht mehr zulässig, doch in importierten oder älteren Produkten kann sie noch auftauchen. Gerade diese Grauzone macht aufmerksames Lesen der Zutatenlisten unerlässlich.
Das Problem mit loser Ware und Bedientheken
Während verpackte Produkte einer strengen Kennzeichnungspflicht unterliegen, sieht die Situation bei loser Ware anders aus. An Bedientheken für Backwaren, Süßigkeiten oder Salatbars sind die Informationsmöglichkeiten oft eingeschränkt. Zwar müssen auch hier Allergene gekennzeichnet werden, etwa durch schriftliche Information, mündliche Auskunft oder Aushänge, doch die Umsetzung variiert erheblich.

Besonders kritisch sind Situationen, in denen verschiedene Produkte mit denselben Werkzeugen gehandhabt werden. Eine Zange, die eben noch erdnusshaltige Kekse gegriffen hat, landet im nächsten Moment bei einem anderen Gebäck. Solche Kreuzkontaminationen sind im Alltag von Supermärkten kaum zu vermeiden und werden selten transparent kommuniziert. Allergiker stehen hier vor einer zusätzlichen Herausforderung.
Internationale Produkte und ihre Tücken
Bei Lebensmitteln aus dem Ausland gelten teilweise andere Kennzeichnungsstandards. Produkte aus Nicht-EU-Ländern entsprechen nicht automatisch den europäischen Vorgaben, auch wenn sie in deutschen Supermärkten verkauft werden. Importeure sind zwar verpflichtet, für korrekte Kennzeichnung zu sorgen, doch gerade bei Spezialitäten aus asiatischen, afrikanischen oder südamerikanischen Ländern kann die Allergenkennzeichnung unvollständig oder missverständlich sein.
Erdnüsse spielen in vielen Küchen weltweit eine zentrale Rolle. In der thailändischen, indonesischen oder westafrikanischen Küche sind sie selbstverständliche Grundzutaten. Fertigprodukte und Gewürzpasten aus diesen Regionen enthalten häufig Erdnussbestandteile, ohne dass dies prominent gekennzeichnet wäre. Wer exotische Lebensmittel liebt, muss hier besonders vorsichtig sein.
Praktische Strategien für den sicheren Einkauf
Allergiker und ihre Angehörigen entwickeln mit der Zeit Routinen, um Risiken zu minimieren. Die Zutatenliste sollte nicht nur einmal gelesen werden. Hersteller ändern gelegentlich Rezepturen, ohne dass sich die Verpackung äußerlich stark verändert. Was gestern noch sicher war, kann heute problematisch sein. Diese ständige Wachsamkeit kostet Energie, ist aber unverzichtbar für die eigene Sicherheit.
Apps und Online-Datenbanken bieten zunehmend Unterstützung beim Scannen von Barcodes und der Identifizierung allergener Inhaltsstoffe. Diese digitalen Helfer sind praktisch, sollten aber nicht das kritische Lesen der Original-Zutatenliste ersetzen. Technische Fehler oder veraltete Datenbanken können zu falschen Informationen führen. Bei Unsicherheiten lohnt sich der direkte Kontakt zum Hersteller. Die meisten Unternehmen verfügen über Kundenservice-Abteilungen, die detaillierte Auskünfte zu Produktionsbedingungen und Allergenen geben können.
Die rechtliche Grauzone bei Spurenkennzeichnung
Die freiwillige Natur von Spurenhinweisen führt zu einer unbefriedigenden Situation für alle Beteiligten. Hersteller wissen nicht genau, wann ein Hinweis rechtlich geboten ist, Verbraucher können die tatsächliche Gefahr nicht einschätzen, und Kontrollbehörden haben keine klaren Maßstäbe zur Bewertung. Verschiedene Fachorganisationen fordern seit Jahren eine Vereinheitlichung und Quantifizierung von Spurenkennzeichnungen. Schwellenwerte, ab welcher Konzentration ein Hinweis verpflichtend wäre, könnten Klarheit schaffen. Bislang scheitern solche Initiativen an der Komplexität der Materie und unterschiedlichen nationalen Interessen.
Neue Entwicklungen und Hoffnungsschimmer
Die Lebensmittelindustrie arbeitet an technischen Lösungen zur Reduzierung von Kreuzkontaminationen. Verbesserte Reinigungsverfahren, getrennte Produktionslinien und sensiblere Nachweismethoden tragen dazu bei, Risiken zu minimieren. Einige Hersteller lassen ihre Produkte mittlerweile freiwillig von unabhängigen Laboren auf Allergenfreiheit testen und kommunizieren die Ergebnisse. Auch auf politischer Ebene bewegt sich etwas. Die Diskussion um eine Reform der Allergenkennzeichnung gewinnt an Fahrt, getrieben von Patientenverbänden und Verbraucherschutzorganisationen.
Für Menschen mit Erdnussallergie bleibt der Lebensmitteleinkauf eine Herausforderung, die Wachsamkeit und Fachwissen erfordert. Das gesunde Image von Erdnüssen als Proteinlieferant und Energiespender darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass für eine wachsende Zahl von Menschen bereits kleinste Mengen lebensbedrohlich sein können. Eine verbesserte, standardisierte und vor allem verlässliche Kennzeichnung wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Sicherheit im Alltag von Millionen Betroffenen.
Inhaltsverzeichnis
