Die Kastration gehört zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen in der Veterinärmedizin, doch was viele Hundebesitzer überrascht: In den Wochen und Monaten nach dem Eingriff beginnt ihr vierbeiniger Freund oft merklich zuzunehmen. Diese Gewichtszunahme ist keineswegs eine zwangsläufige Folge mangelnder Disziplin, sondern hat tiefgreifende hormonelle Ursachen, die das gesamte Stoffwechselgeschehen des Hundes verändern. Wenn wir unsere Hunde lieben, müssen wir verstehen, dass ihre Bedürfnisse sich nach diesem Eingriff grundlegend wandeln.
Warum kastrierte Hunde anders ticken
Nach der Kastration verändert sich der Hormonhaushalt dramatisch. Die Produktion von Sexualhormonen wie Testosteron und Östrogen wird weitgehend eingestellt, was unmittelbare Auswirkungen auf den Stoffwechsel hat. Der Grundumsatz sinkt um 25 bis 30 Prozent. Das bedeutet konkret: Ihr Hund benötigt deutlich weniger Kalorien für die gleichen Aktivitäten als zuvor.
Gleichzeitig steigt paradoxerweise der Appetit um bis zu 25 Prozent. Sexualhormone wirken appetithemmend, und ihr Wegfall führt dazu, dass kastrierte Hunde häufiger Hunger verspüren und weniger schnell ein Sättigungsgefühl entwickeln. Diese biologische Falle macht es Hunden nahezu unmöglich, ihre Nahrungsaufnahme selbst zu regulieren – eine Verantwortung, die vollständig bei uns Menschen liegt.
Das stille Leiden unter Übergewicht
Übergewicht ist keine kosmetische Angelegenheit. Jedes zusätzliche Kilogramm belastet die Gelenke, erhöht das Risiko für Diabetes mellitus, Herzerkrankungen und Atemprobleme. Wenn wir die Futtermenge nach der Kastration nicht anpassen, setzen wir unsere treuen Begleiter einem vermeidbaren Gesundheitsrisiko aus.
Besonders heimtückisch: Die Gewichtszunahme erfolgt meist schleichend. Ein Gramm mehr pro Tag summiert sich in einem Jahr auf über 350 Gramm – bei einem mittelgroßen Hund eine erhebliche Menge, die oft erst bemerkt wird, wenn bereits deutliches Übergewicht besteht.
Die richtige Futtermenge nach der Kastration
Die goldene Regel lautet: Reduzieren Sie die Futtermenge um etwa 20 bis 30 Prozent gegenüber der Menge vor der Kastration. Dies sollte schrittweise über zwei bis drei Wochen erfolgen, um den Hund nicht zu verwirren oder zu stressen. Wiegen Sie Ihren Hund wöchentlich in den ersten zwei Monaten nach der Operation, um Veränderungen frühzeitig zu erkennen.
Kalorienreduziertes Spezialfutter für kastrierte Hunde enthält weniger Fett, dafür mehr Ballaststoffe und Proteine, die länger sättigen. Speziell konzipierte Futtermittel enthalten oft nur 7 bis 7,5 Prozent Fett in der Trockensubstanz. Verwenden Sie eine Küchenwaage statt Messbecher – Trockenfutter variiert in der Dichte erheblich. Leckerlis müssen von der Hauptmahlzeit abgezogen werden, um die Gesamtkalorienmenge nicht zu überschreiten. Gekochte Karotten, Zucchini oder grüne Bohnen können einen Teil der Mahlzeit ersetzen und liefern Volumen ohne viele Kalorien.
Bewegung als unterschätzter Faktor
Viele kastrierte Hunde zeigen nach dem Eingriff eine verminderte Aktivität. Hormone beeinflussen nicht nur den Stoffwechsel, sondern auch den Bewegungsdrang. Rüden, die zuvor ständig auf der Suche nach läufigen Hündinnen waren, werden ruhiger. Diese Verhaltensänderung ist für den Hund angenehm, verstärkt aber die Gewichtsproblematik.
Setzen Sie bewusst Bewegungsanreize: Längere Spaziergänge, neue Routen mit interessanten Gerüchen, Suchspiele oder gezieltes Hundetraining halten Ihren Vierbeiner aktiv. Regelmäßige zusätzliche Bewegung kurbelt den Stoffwechsel messbar an und trägt wesentlich zum Gewichtsmanagement bei.

Der Body Condition Score als Kontrollwerkzeug
Verlassen Sie sich nicht allein auf die Waage. Der Body Condition Score ist ein bewährtes System, mit dem Sie den Ernährungszustand Ihres Hundes beurteilen können. Bei idealgewichtigen Hunden sind die Rippen leicht zu ertasten, ohne stark hervorzutreten. Von oben betrachtet ist eine deutliche Taille erkennbar, von der Seite eine aufgezogene Bauchlinie.
Überprüfen Sie den Body Condition Score monatlich. Diese regelmäßige Kontrolle schafft Bewusstsein und ermöglicht rechtzeitiges Eingreifen, bevor sich ernsthaftes Übergewicht entwickelt. Ihr Tierarzt kann Ihnen die Methode ausführlich demonstrieren.
Fütterungsstrategien für zufriedene Hunde
Die psychologische Komponente wird oft unterschätzt. Ein Hund, der nach der Kastration weniger Futter erhält, fühlt sich möglicherweise unzufrieden. Mit cleveren Strategien können Sie das Volumen erhöhen, ohne die Kalorienzufuhr zu steigern.
- Mehrere kleine Mahlzeiten: Drei bis vier kleine Portionen täglich statt zwei großer sorgen für ein konstanteres Sättigungsgefühl
- Futterball oder Kong: Beschäftigungsfutter verlängert die Fresszeit und befriedigt den Kautrieb
- Wasserreiche Ergänzungen: Eingeweichtes Trockenfutter oder die Zugabe von Brühe ohne Salz erhöht das Volumen ohne zusätzliche Kalorien
- Feste Fütterungszeiten: Routine hilft Hunden, sich auf Mahlzeiten einzustellen und reduziert Bettelverhalten
Wenn die ganze Familie mitzieht
Das größte Problem in vielen Haushalten: unterschiedliche Familienmitglieder füttern zusätzlich, ohne voneinander zu wissen. Kinder stecken dem Hund heimlich Leckerlis zu, Großeltern können dem bettelnden Blick nicht widerstehen. Diese gut gemeinten Gesten summieren sich zu einer erheblichen Kalorienüberschreitung.
Erstellen Sie einen Fütterungsplan, der für alle sichtbar in der Küche hängt. Jede Gabe wird notiert. Dies schafft Transparenz und Verantwortlichkeit. Erklären Sie besonders Kindern, dass echte Liebe bedeutet, auf die Gesundheit des Hundes zu achten – auch wenn das Nein-Sagen zum Leckerli schwerfällt.
Besondere Aufmerksamkeit bei bestimmten Hunden
Einige Hunde neigen genetisch stärker zu Übergewicht als andere. Die Rassezugehörigkeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Bei diesen Hunden ist nach der Kastration absolute Wachsamkeit geboten. Zudem steigt das Risiko mit zunehmendem Alter – eine Kastration bei älteren Hunden erfordert besonders sorgfältige Futteranpassung.
Auch kleine Hunderassen werden oft unterschätzt. Bei einem Chihuahua oder Yorkshire Terrier bedeuten 500 Gramm Übergewicht proportional eine massive Belastung für den kleinen Körper – vergleichbar mit deutlichem Übergewicht bei einem großen Hund.
Der Weg zurück zum Idealgewicht
Hat Ihr Hund bereits zugenommen, ist Geduld gefragt. Crashdiäten sind gefährlich und führen zu Muskelabbau statt Fettreduktion. Eine gesunde Gewichtsabnahme sollte langsam und kontrolliert erfolgen. Arbeiten Sie eng mit Ihrem Tierarzt zusammen, um einen individuellen Diätplan zu erstellen.
Dokumentieren Sie Fortschritte mit Fotos und regelmäßigem Wiegen. Diese sichtbaren Erfolge motivieren durchzuhalten, wenn die Fortschritte langsam erscheinen. Ihr Hund wird es Ihnen mit mehr Energie, Bewegungsfreude und Lebensqualität danken.
Die Kastration ist ein wichtiger Eingriff mit vielen Vorteilen, doch sie verändert die Bedürfnisse unserer Hunde grundlegend. Indem wir diese Veränderungen ernst nehmen und unser Fütterungsverhalten konsequent anpassen, schenken wir unseren treuen Begleitern die Chance auf ein langes, gesundes und glückliches Leben an unserer Seite.
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