Wie erkennt man das Impostor-Syndrom bei sich selbst, laut Psychologie?

Warum du dich bei jedem Erfolg wie ein Betrüger fühlst – und was dein Gehirn damit zu tun hat

Du hast gerade eine Präsentation gerockt. Dein Chef applaudiert, deine Kollegen nicken anerkennend, jemand schreibt dir eine Mail mit „Großartige Arbeit!“ – und während das alles passiert, schreit eine Stimme in deinem Kopf: „Die haben keine Ahnung. Wenn die wüssten, dass ich das meiste gegoogelt habe und totale Panik hatte.“ Glückwunsch, du bist gerade dem Impostor-Syndrom begegnet, diesem psychologischen Troll, der in deinem Kopf wohnt und dir einredet, dass du eigentlich eine Mogelpackung bist.

Bevor du jetzt denkst, du wärst der einzige Mensch auf diesem Planeten, der sich so fühlt: Eine Studie von Sakulku und Alexander aus dem Jahr 2011 zeigt, dass ungefähr 70 Prozent aller Menschen irgendwann in ihrem Leben mit diesem Gefühl konfrontiert werden. Das bedeutet, sieben von zehn Personen in deinem Büro, deiner Uni oder deinem Freundeskreis kennen dieses Gefühl. Sogar richtig erfolgreiche Menschen wie Maya Angelou oder Michelle Obama haben offen darüber gesprochen, dass sie sich manchmal wie Hochstapler fühlen. Wenn selbst eine ehemalige First Lady und Bestsellerautorin davon betroffen ist, dann ist das Phänomen definitiv real – und verdammt weit verbreitet.

Was zur Hölle ist das Impostor-Syndrom überhaupt?

Dein Gehirn hat einen extrem nervigen Mitbewohner, der ständig alles kommentiert, was du machst. Dieser Mitbewohner ist überzeugt, dass du deine Erfolge nicht verdient hast. Jedes Mal, wenn du etwas gut machst, sagt er: „Das war nur Glück.“ Wenn jemand dich lobt, flüstert er: „Die wissen einfach nicht, wie unfähig du wirklich bist.“ Und wenn du einen Fehler machst? Da wird er richtig laut: „Siehste, ich hab’s doch gewusst – du bist eine Katastrophe.“

Das Impostor-Syndrom ist kein offizielles medizinisches Krankheitsbild, das du im Diagnosekatalog findest. Es ist eher ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen trotz objektiver Beweise ihrer Kompetenz fest davon überzeugt sind, dass sie Betrüger sind. Sie glauben, ihre Erfolge seien reiner Zufall, glückliche Umstände oder das Ergebnis davon, dass sie andere getäuscht haben. Ihre eigenen Fähigkeiten? Nope, die spielen in ihrer Wahrnehmung keine Rolle.

Das Verrückte daran ist die Art, wie dein Gehirn Erfolge und Misserfolge verarbeitet. Psychologen nennen das eine verzerrte Attribution: Wenn du etwas gut machst, schreibst du das externen Faktoren zu – Glück, Timing, die Hilfe anderer, ein leichtes Thema. Wenn du scheiterst, machst du dich selbst dafür verantwortlich – du warst nicht gut genug, nicht klug genug, einfach nicht genug. Diese Denkweise ist nicht nur unfair, sie ist auch selbstverstärkend. Je erfolgreicher du wirst, desto größer wird die Angst, dass jemand durchschaut, dass du angeblich ein Fake bist.

Warum ausgerechnet die Kompetenten am meisten leiden

Hier wird es richtig absurd: Das Impostor-Syndrom trifft oft gerade die Menschen, die am kompetentesten sind. Während Leute mit null Ahnung selbstbewusst durch die Gegend laufen und überzeugt sind, sie wüssten alles besser, sitzen die wirklich fähigen Menschen da und zweifeln an sich selbst. Dieses Phänomen hängt mit dem sogenannten Dunning-Kruger-Effekt zusammen – je mehr du weißt, desto mehr bist du dir bewusst, was du nicht weißt. Unwissende überschätzen sich, weil sie nicht mal merken, wie viel ihnen fehlt. Du hingegen siehst alle Lücken in deinem Wissen und denkst: „Ich bin ein Hochstapler.“

Dein Gehirn spielt dir einen richtig miesen Streich. Es ist, als würde deine Kompetenz gegen dich arbeiten. Du verstehst genug von einem Thema, um zu wissen, wie komplex es ist – und interpretierst das als Beweis dafür, dass du nicht qualifiziert bist. Währenddessen marschiert jemand mit der Hälfte deines Wissens selbstsicher ins Meeting und hält einen Vortrag, als wäre er der absolute Experte.

Die Warnsignale: So erkennst du, ob du betroffen bist

Das Tückische am Impostor-Syndrom ist, dass es sich perfekt tarnt. Es fühlt sich an wie normale Selbstreflexion oder gesunde Bescheidenheit. Aber es gibt konkrete Warnsignale, auf die du achten solltest – und die basieren auf psychologischer Forschung, nicht auf Bauchgefühl.

Deine Erfolge fühlen sich falsch an

Du hast die Beförderung bekommen. Den Job. Das Projekt abgeschlossen. Alle gratulieren dir – und in deinem Kopf denkst du: „Das war bestimmt ein Irrtum. Die verwechseln mich mit jemand anderem.“ Wenn objektive Beweise deiner Kompetenz deine innere Überzeugung nicht erschüttern können, dass du eigentlich nicht gut genug bist, ist das ein massives rotes Tuch. Dein Gehirn weigert sich hartnäckig, positive Informationen zu verarbeiten, während es jedes winzige Anzeichen von Versagen wie ein Staubsauger aufsaugt.

Komplimente abzuwehren ist dein Vollzeitjob

Jemand lobt deine Arbeit und du antwortest automatisch mit einem der folgenden Sätze: „Ach, das war doch nichts Besonderes“, „Das hätte jeder gekonnt“, „Ich hatte einfach Glück“ oder „Das Team hat die ganze Arbeit gemacht.“ Das klingt nach Bescheidenheit, ist aber oft ein Schutzmechanismus. Menschen mit Impostor-Syndrom wehren Komplimente nicht aus falscher Bescheidenheit ab, sondern weil sie tief drinnen überzeugt sind, dass das Lob nicht gerechtfertigt ist. Sie haben Angst, dass wenn sie es annehmen, die Erwartungen steigen – und damit auch das Risiko, beim nächsten Mal zu versagen und als Betrüger entlarvt zu werden.

Perfektionismus trifft auf Prokrastination – die Hölle auf Erden

Du schiebst Aufgaben vor dir her, nicht weil du faul bist, sondern weil deine Standards so absurd hoch sind, dass du lähmende Angst vor dem Anfangen hast. Und wenn du dann endlich startest, arbeitest du bis zur totalen Erschöpfung, um sicherzustellen, dass alles perfekt ist. Diese Kombination ist ein Klassiker. Der Perfektionismus dient als Coping-Mechanismus: „Wenn ich es nur gut genug mache, wird niemand merken, dass ich eigentlich keine Ahnung habe.“ Die Prokrastination entsteht aus der Panik, diesen unmöglichen Standard nicht zu erreichen. Perfektionismus schafft einen Teufelskreis, der dich auffrisst.

Du hast für alles eine Ausrede – nur nicht für deine Fähigkeiten

Achte mal darauf, wie du über deine Erfolge sprichst. Sagst du Dinge wie „Ich hatte halt Glück mit dem Timing“, „Die Konkurrenz war schwach“ oder „Meine Kollegen hätten das viel besser gemacht“? Menschen mit Impostor-Syndrom sind unglaublich kreativ darin, jeden erdenklichen externen Faktor für ihren Erfolg verantwortlich zu machen – nur nicht ihre eigene Kompetenz. Ein besonders verräterischer Gedanke: „Ich habe diese Prüfung nur bestanden, weil sie zu einfach war.“ Wenn du ständig alternative Erklärungen für deine Leistungen findest, solltest du hellhörig werden.

Die Angst vor Entlarvung ist dein ständiger Begleiter

Das Kernsymptom: Du lebst mit der konstanten, unterschwelligen Angst, dass irgendwann jemand durchschaut, dass du in Wahrheit nicht qualifiziert bist. Diese Angst taucht in Meetings mit Vorgesetzten auf, bei Präsentationen, wenn jemand eine Frage stellt, auf die du die Antwort nicht sofort weißt. Psychologisch bedeutet das eine ständige Hypervigilanz – dein Nervensystem ist im Dauereinsatz, scannt die Umgebung nach Bedrohungen deiner Tarnung. Das ist nicht nur emotional erschöpfend, sondern kann auch zu körperlichen Symptomen führen.

Wenn dein Körper anfängt mitzuspielen

Das Impostor-Syndrom bleibt nicht in deinem Kopf – es manifestiert sich sehr real in deinem Körper. Chronischer Stress durch die ständige Angst vor Entlarvung führt zu messbaren körperlichen Symptomen. Schlafstörungen sind extrem häufig. Du liegst nachts wach, denkst über den Fehler nach, den du heute gemacht hast, oder malst dir aus, wie morgen alle merken werden, dass du überfordert bist. Kopfschmerzen, Verspannungen im Nacken und Schulterbereich, Magen-Darm-Beschwerden – alles typische Stressreaktionen.

Dein Körper reagiert auf die psychische Belastung, als wärst du in echter Gefahr. Und evolutionär macht das sogar Sinn: Sozialer Ausschluss war für unsere Vorfahren eine existenzielle Bedrohung. Dein Gehirn unterscheidet nicht zwischen der Angst, von einem Raubtier gefressen zu werden, und der Angst, im Meeting als inkompetent enttarnt zu werden. Beide lösen die gleiche Stressreaktion aus.

Warum ausgerechnet du? Die Wurzeln des Problems

Die Ursachen des Impostor-Syndroms sind komplex und individuell, aber die Forschung hat einige Muster identifiziert. Zwei Faktoren tauchen besonders häufig auf: ausgeprägter Perfektionismus und niedriges Selbstwertgefühl. Diese sind nicht zwingend die Ursache, aber sie korrelieren stark mit dem Phänomen und verstärken es. Der Perfektionismus setzt dir unrealistische Standards, die du nicht vollständig erreichst, du interpretierst das als persönliches Versagen und fühlst dich als Hochstapler bestätigt.

Oft liegen die Wurzeln in der Kindheit. Vielleicht wurdest du ständig mit Geschwistern verglichen. Vielleicht war Liebe an Leistung gekoppelt. Vielleicht wurden deine Erfolge heruntergespielt oder übertrieben hochgejubelt – beides kann problematisch sein. Kinder, die als „das kluge Kind“ etikettiert wurden, entwickeln manchmal die Angst, dieses Bild nicht aufrechterhalten zu können. Jeder Fehler wird zur existenziellen Bedrohung ihrer Identität. Umgekehrt können Kinder, die ständig kritisiert wurden, auch bei späteren Erfolgen die internalisierten negativen Überzeugungen nicht abschütteln.

Was das langfristig mit dir macht

Das Impostor-Syndrom ist mehr als nur ein unangenehmes Gefühl. Menschen mit ausgeprägtem Impostor-Syndrom berichten von reduzierter Arbeitszufriedenheit, auch wenn sie objektiv erfolgreich sind. Sie können ihre Erfolge nicht genießen, weil sie ständig auf den Moment warten, in dem alles zusammenbricht. Das führt zu chronischem Stress, der ein massiver Risikofaktor für Burnout ist.

Darüber hinaus kann das Impostor-Syndrom mit Angststörungen und Depressionen einhergehen. Wichtig: Das Syndrom selbst ist keine diagnostizierbare psychische Erkrankung, aber die chronische Belastung und die negativen Denkmuster können zu klinisch relevanten psychischen Problemen führen oder diese verstärken. Wenn die Selbstzweifel deinen Alltag erheblich beeinträchtigen oder du unter starken körperlichen Stresssymptomen leidest, ist professionelle Unterstützung sinnvoll. Eine kognitive Verhaltenstherapie kann beispielsweise helfen, die verzerrten Denkmuster zu erkennen und zu korrigieren.

Die unsichtbare Karrierebremse

Das Impostor-Syndrom bremst auch die berufliche Entwicklung aus. Du bewirbst dich nicht auf die Beförderung, weil du denkst, du seist nicht qualifiziert genug – obwohl du alle Anforderungen erfüllst. Du meldest dich nicht zu Wort in Meetings, obwohl du wertvolle Beiträge hättest. Du lehnst Chancen ab, weil du Angst hast, zu versagen und entlarvt zu werden. Ironischerweise halten sich oft gerade die kompetentesten Menschen zurück, während weniger qualifizierte Personen selbstbewusst nach vorne preschen.

Der erste Schritt: Erkennen und aussprechen

Wenn du dich in diesem Artikel wiedererkannt hast, ist das tatsächlich schon ein wichtiger erster Schritt. Das Impostor-Syndrom verliert einen Teil seiner Macht, sobald du es erkennst und benennst. Diese Gedanken sind nicht die objektive Wahrheit über dich, sondern ein psychologisches Muster. Sie sind real in dem Sinne, dass du sie erlebst, aber sie sind nicht real in dem Sinne, dass sie akkurat deine Fähigkeiten widerspiegeln.

Sprich darüber. Du wirst überrascht sein, wie viele Menschen in deinem Umfeld ähnliche Gefühle kennen. Das Teilen dieser Erfahrung kann enorm entlastend wirken und die Isolation durchbrechen, die das Impostor-Syndrom schafft. Du bist nicht allein – und du bist kein Betrüger. Das Paradoxe ist: Gerade das Gefühl, ein Hochstapler zu sein, ist oft ein Zeichen dafür, dass du es nicht bist. Echte Hochstapler plagen keine Selbstzweifel – sie überschätzen ihre Fähigkeiten eher. Deine Zweifel zeigen, dass du reflektiert und selbstkritisch bist. Die Herausforderung ist, ein gesundes Maß zu finden zwischen wertvoller Selbstreflexion und destruktiver Selbstsabotage.

Deine Erfolge sind real. Deine Fähigkeiten sind real. Die Anerkennung, die du erhältst, ist verdient. Und die Tatsache, dass du dir manchmal unsicher bist? Das macht dich menschlich, nicht zu einem Betrüger. Es macht dich zu jemandem, der wächst, lernt und sich weiterentwickelt.

Wann fühlst du dich wie ein Hochstapler?
Bei Lob
Bei Beförderungen
Vor Präsentationen
Nach Erfolgen
Immer

Schreibe einen Kommentar